Archiv der Kategorie: Skurriles & Satirisches

Walter Moers – Der Fönig. Ein Moerschen.


Der Furzwellensender mahnt: Kasse dich furz!

Eines Tages erwachte der Fönig zum Gezwitscher einer Fohlmeise, eines Folibris und eines Faninchens, denn in seinem Fönigreich wurden alle Ks durch Fs ersetzt. Ein Moerschen für Erwachsene. (Verlagsinfo) Wieder einmal hat der Vater von Käptn Blaubär und dem kleinen Arschloch zugeschlagen: „Der Fönig“ versetzt die Republik in einen kollektiven Lachkrampf. In „Der Fönig“ verbindet Moers Sprachspiel mit gekonnter Zeichenkunst zu einem recht irrwitzigen Comic-Cocktail – nicht nur für Erwachsene.
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Roberts, A3R – Star Warped – Die Krieg-der-Sterne-Parodie

_Humor für Zwölfjährige: WC-Nullnull fiept!_

„Unvermeidlich, aber wahr: Die ultimative Parodie auf alle sechs (ja, Sie haben richtig gelesen: alle SECHS) STAR WARS-Kinofilme!“ (Verlagsinfo)

_Der Autor_

A.R.R.R. Roberts, der sich hier stilecht mit nur A3R als Vornamen zufriedengibt, hat bereits die mehr oder weniger geniale Parodie auf Tolkiens Kinderbuchklassiker „The Hobbit“ verbrochen, die hierzulande unter dem Titel [„Der kleine Hobbnix“ 477 (O-Titel: The Soddit) erschien. Kürzlich kam auch seine Verhohnepiepelung des elbischen Telefonuchs „The Silmarillion“ auf den Markt. Aus dem ursprünglichen „The Sellamillion“ wurde das kriminelle Wortspiel „Stiehlnemillion“.

_Handlung_

Das Buch besteht definitv aus sechs Teilen, beginnt aber natürlich keineswegs mit dem ersten, sondern mit dem vierten – genau wie in der Vorlage von „Schorsch Luk-Ass“. Folglich folgt nach der sechsten Episode die erste. Wer das etwas verwirrend findet, sollte sich beim Erfinder beschweren.

Luke Skyquaker lebt auf seiner Welt Tätowiermir frisch, nackt und unschuldig unter FKK-bewussten Schweden, als das Unglück in Gestalt zweiter Droiden an seine Tür klopft. Der goldene schlanke Droide mit dem Namen SAF4711 hat für proteinbasierende Humanwesen nur Verachtung und Abscheu übrig – in dieser Reihenfolge. Darin steht ihm sein Kumpel WC-Nullnull nur wenig nach, der sich trotz seines Aussehens einer Kloschüssel weigert, anders als in Fieptönen zu kommunizieren.

WC-Nullnull spielt ihm eine Holobotschaft vor, in der eine gewisse Prinzessin Lepra einen Jobber-Ritter namens Jopi-An Knofi um Hilfe ruft. Sie sei nämlich von Imperialen Reichsimperium gefangen genommen worden und werde höchstwahrscheinlich aufs Grässlichste gefoltert werden, weil dessen Schergen die Geheimnisse der Rebellenden (sic!) erfahren wollen, die für eine „Galaxia libre“ kämpfen.

Luke kennt keine Jobber-Ritter, noch nicht mal Siff-Lords, doch ihm fällt ein alter Knacker namens Opi-Jan Knofi ein, den er mal fragen könnte, was gemeint ist. Und tatsächlich meint Opi, dass sie sofort losdüsen sollten, um Prinzessin Lepra zu befreien, denn schließlich sei die „PRACHT“ ja mit ihnen.

Da Luke nicht mal einen Golfwagen steuern kann, brauchen sie noch einen fähigen Piloten. Diesen finden sie in Gestalt von Hans Polo, doch leider ist er nicht besonders helle, noch ist sein Kopilot Aubacke bislang aus seinem Winterschlaf erwacht. Dafür verfügt Hans über ein geiles Raumschiff mit dem eindrucksvollen Namen „Millennium Wanze“ – der Name „Millennium Schmetterling“ war schon vergeben.

Doch die reichsimperialen Sturtruppler (sic!) haben etwas gegen alte Knacker, die ein Neonschwert zücken, um einem der Ihren eins überzuziehen. Zum Glück entpuppt sich das Neonschwert lediglich als harmlose Leuchtstoffröhre, aber die Sturtruppler sind doch so verblüfft von Opis Angriff, dass sich die Verschwörer an Bord der „Wanze“ flüchten können. Dabei wird Hans Polo schwer getroffen, und Luke muss den Start selbst übernehmen. Leider drückt er den Knopf für den Rückwärtsgang und würgt den Motor ab …

Daher teilen sie schon bald das grässliche Schicksal Prinzessin Lepras. Eingekerkert in einer Zelle des Todesheilbades (= The Death Spa) müssen sie ihre Hirn- und sonstigen Zellen anstrengen, um hier wieder rauszukommen. Wehe, wenn der Oberkommandeur des obersten Pfandmuffels des Reichsimperiums kommt und sie verhört: Mit seiner röchelnden Stimme und seinem gefürchteten schwarzen Humor würde sie Schwarz Vater im Handumdrehen kirre machen.

Doch bevor es dazu kommt, verliebt sich Luke in die schmucke Prinzessin, die in keiner Weise wirkt, als verlöre sie demnächst ein paar verfaulte Körperteile, geschweige denn die absonderlichen Dinger, die sie über den Ohren trägt. Doch ihre schwerste Stunde steht den Verschwörern noch bevor. Bei einem Fluchtversuch verirren sie sich in einen engen holzgetäfelten Raum, dessen Tür von den Verfolgern verschlossen und verrammelt wird. Eine tödliche Falle?!

Doch als der heiße Dampf in die Zelle dringt, weiß Luke Bescheid – schließlich gehört bei den Schweden das Saunabaden zum täglichen Ritual. Und so fällt es ihm nicht schwer, einen glorreichen Vorschlag zu machen. Sie brauchen sich nur alle auszuziehen und dann in den Lüftungsschacht klettern, um zu entkommen.

Dagegen legt allerdings Prinzessin Lepra ihr Veto ein. Wo käme man denn hin, wenn sich alle mir nichts, dir nichts auszögen, so wie die armen Science-Fiction-Autoren auf dem Planeten Gregbär, hm? (In die Freiheit beispielsweise …)

Freuen Sie sich! Die Episode 4 „Eine nackte Hoffnung“ wird fortgesetzt in:
Ep. 5: Das Imperium spielt verrückt (u. a. mit epischen Abenteuern auf dem Eisplaneten Caldarsch)
Ep. 6: Die Rückkehr des Sohnes des Jobbers reitet wieder
Ep. 1: Die dunkle Verrohung
Ep. 2: Angriff der Tron-Krieger
Ep. 3: Die Rache der Rückkehr des Sohnes der Siff reitet wieder: Die nächste Generation – die Anfangsjahre

_Mein Eindruck_

Humor ist natürlich eine Geschmacksfrage. Alle, die mit religösem Eifer die Abenteuer von Luke, Leia und Han verschlungen und Klein-Anis Aufstieg zum gefürchteten Siff-, pardon! Sith-Lord mit Heulen und Zähneklappern verfolgt haben, denen sei von der Lektüre dieses vorliegenden Bändchens mit dem Namen „Star Warped“ dringend abgeraten. Es könnte sich als schwere Störung ihres Welt-Bildes erweisen und zu voreiligen Handlungen führen (Mord, Selbstmord, Vernichtung der DVD-Box durch Flammenwerfereinsatz und dergleichen mehr).

Wer sich im Angesicht des Merchandising-Sturms und Propaganda-Gewitters aus Lucasland allerdings ein restliches Quäntchen Verstand bewahren konnte, den könnte diese Parodie durchaus interessieren.

Doch deshalb ist eine Parodie nocht nicht „per se“ gelungen, nur weil sie einen der größten Mythen der modernen Kinogeschichte auf den Arm nimmt. (Schwarz Vader würde VERHOHNEPIEPELT sagen, natürlich in Großbuchstaben, aber auf dieses Niveau müssen wir uns nicht hinabbegeben. Wirklich nicht!)

Wie immer bei Parodien spielt die Übertragung in die deutsche Sprachlandschaft eine entscheidende Rolle. In Roberts‘ Erstling „Der kleine Hobbnix“ gelang dies der Übersetzerin verzüglich, so dass es eine wahre Freude war, den rappenden Zwergen auf ihrem Weg zum Drachenschatz unterm Einsamen Berg zu folgen. Sie waren einfach zu lieb, doof und putzig, um sie anödend zu finden. Außerdem gab es die komplizierte Sache mit dem reziprok wirkenden Ring-Zauber und ein Rätsel um Zauberer Ganzalt, die für Unterhaltung und Spannung sorgten.

Bei „Star Warped“ hat Ronald M. Hahn die Übertragung besorgt. Hahn, Übersetzer der „Wüstenplanet“-Romane Frank Herberts, ist Autor zahlreicher Jugendbücher und hat eine Satire mit dem Titel „Die Socialdemokraten auf dem Monde“ geschrieben (bei |Heyne|). Man kann ihm durchaus bescheinigen, sich in Sachen Humor auszukennen und sich darin ausdrücken zu können.

Die Übertragung der Namen wie etwa Wehzeh- bzw. WC-Nullnull (statt R2D2) oder Opi-Jan Knofi (Knofi = Knoblauch) statt Ob-Wan Kenobi fand ich ja noch einigermaßen erträglich. Und wenn Yoda der Jedi zum jodelnden Jodella wird, könnte man sich auch einen abgrinsen. Allerdings lassen die Dialoge doch sehr an Intelligenz zu wünschen übrig. Das Hirnzellen-Energieniveau, das hier aufgebracht werden muss, kann locker schon ein Elf- oder Zwölfjähriger liefern. (Das ist „zufällig“ das Alter, ab dem STAR-WARS-Filme freigegeben sind.) Und allen, die schon älter sind, kommt dies wie Schwachstrom-Humor vor.

Beispiel gefällig? Auf Seite 116/117 heißt es:

»Urplötzlich hörte [Luke] eine geisterhafte Stimme aus einer Existenzebene, die jenseits seiner eigenen lag: ‚Setz die Pracht ein, Luke‘.
„Was?“, sagte Luke verdutzt.
„Was?“, fragte Prinzessin Lepra.
„Was?“, sagte Luke und schaute sie an.
„Was hast du gesagt?“, fragte sie.
„Was?“
„WAS?“
„Hast du was gesagt? Hast du gesagt: ‚Setz die Pracht ein, Luke‘?“
„Nein“, sagte Lepra.
„Hast du irgendwas gesagt, das(s*) ich vielleicht als ‚Setz die Pracht ein, Luke‘ missverstanden haben könnte?“
„Nein – jetzt hör auf zu mauern. […]“«
(*) Das zweite S steht tatsächlich im Text. Das ist natürlich nicht ganz korrekt.

An dieser Passage entzünden sich herzlich wenige Intelligenzfunken. Vielmehr neigt der mit brillantem Verstand ausgestattete Leser dazu, ein Stöhnen der Qual von sich zu geben. Aber daran ist der Übersetzer putativ unschuldig (in dubio pro reo). Der Dialog ist eben so gnadenlos dumm.

Wie schwierig das Geschäft der Übertragung sein kann, zeigt sich nur wenige Zeilen vor diesem Dialog. Das ursprüngliche (erschlossene) Wort „autodestruction“, aus dem im Deutschen „Autovernichtung“ gemacht wurde, interpretiert Luke zunächst ganz folgerichtig als „Selbstvernichtung“. Er erklärt sich diese Funktion aus der Paranoia des imperialen Reichsimperiums. Mit Freuden drückt er daher den Knopf für „Autovernichtung“, in der Hoffnung, so den Selbstzerstörungsmechanismus des Todesheilbades in Gang zu setzen, ähnlich wie Lt. Ripley in „Alien“. Daraus wird leider nichts, denn der Knopf „Autovernichtung“ ist wortwörtlich zu verstehen: Klar, dass in einem gigantischen Parkhaus von Planetengröße Autos das einzige sind, was vernichtet wird …

Merke: Was im Original als „autodestruction“ schön zweideutig war, ist im Deutschen als „Autovernichtung“ leider ziemlich eindeutig und gibt die Pointe vorzeitig preis. Der Leser fragt sich deshalb auch während Lukes Monolog über „Selbstvernichtung“, wovon er da eigentlich faselt, wenn doch längst klar sein muss, dass es um die Vernichtung von Autos geht und um nichts sonst. Kein Wunder, dass Prinzessin Lepra ihren lobenden Kuss zurückhaben will.

Man sieht also, dass eine Parodie nicht immer so gut funktioniert wie das Original. Und da das Buch offenbar Kinder ansprechen soll, fühlte ich mich durchweg unterfordert.

_Unterm Strich_

„Star Warped“ bietet sicherlich einige nette Einfälle, die Leuten, die den |Star Wars|-Rummel kritisch beäugen, das eine oder andere Schmunzeln entlocken können. Doch die sprachlichen Fallstricke erweisen sich als so hinderlich, dass eine Menge des Esprits des Originals verloren geht. Und dass sich das Buch nun an Kinder von elf oder zwölf Jahren wendet, fand ich dann eher unpassend. Fazit: Muss man nicht kennen.

|Originaltitel: Star Warped, 2005
Aus dem US-Englischen übersetzt von Ronald M. Hahn|

Gerd Scherm – Der Nomadengott. Parodie

Parodie: Exodus mit El Vis

Man schreibt das Jahr 1500 v. Chr.: Ganz Ägypten leidet unter dem Größenwahn des Pharao Ahmoses. Auch die versprengte Volksgruppe der Hyksos, die vor Generationen als Gastarbeiter ins Land am Nil kam, ist plötzlich bedrohlichen Anfeindungen ausgesetzt. Angeführt von Seshmosis, einem mageren Stubenhocker, der sich der Lage nicht im Mindesten gewachsen fühlt, ergreifen sie die Flucht. Doch als drohte der kleinen Karawane von den irdischen Ägyptern nicht schon genug Unheil, haben die Hyksos auch noch den Zorn der lokalen Götter auf sich gezogen – und das gibt mächtig Zoff.

Man stelle sich eine Kombination aus Terry Pratchetts „Pyramiden“ und Monty Pythons „Das Leben des Brian“ vor und bekommt eine gute Vorstellung von der komischen Sprengkraft des Buches. Gerd Scherm – Der Nomadengott. Parodie weiterlesen

Paasilinna, Arto – Im Jenseits ist die Hölle los

In seinem Nachleben als Geist erlebt der Journalist Arto eine ganze Menge erheiternder, aber auch einige betrübliche Ereignisse. Nach einer ganzen Weile findet er nicht nur eine Gefährtin, sondern auch eine Berufung: die Träume der Lebenden zu beeinflussen. Arto wird ein modernes Sandmännchen.

|Der Autor|

Der 1942 geborene Lappe Arto Paasilinna hat bisher nahezu vierzig Bücher veröffentlicht, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem in Frankreich und Italien. Einige davon wurden bereits verfilmt. Paasilinnas Spezialität ist die humorvolle Parodie, die bestimmte Charakterzüge der Finnen und umgebenden Völkerschaften ironisch thematisiert.

Auf Deutsch erschienen sind bisher:

– Der heulende Müller
– Die Giftköchin
– Der Sohn des Donnergottes
– Im Wald der gehenkten Füchse
– Der Sommer der lachenden Kühe
– Das Jahr des Hasen
– Die Rache des glücklichen Mannes
– Der wunderbare Massenselbstmord
– Nördlich des Weltuntergangs
– Vorstandssitzung im Paradies

_Handlung_

Weil er einer hübschen Frau hinterher geschaut hat, achtet unser Erzähler nicht auf den Straßenverkehr und wird prompt überfahren. Die Erfahrung des Todes, die er schon bald „erlebt“, ist etwas Neues für ihn. Leider kann er in der Zeitung, für die er als Journalist gearbeitet hat, nichts mehr darüber schreiben. Dabei wäre das Jenseits für seine Leser doch ziemlich interessant.

Denn es hat mit dem christlichen Himmel überhaupt nichts gemeinsam. Es gibt hier weder einen Himmel zur Belohnung noch eine Hölle zur Bestrafung. Auch ein Christen-Gott ist weit und breit nicht zu entdecken, geschweige denn irgendwelche himmlischen Heerscharen. Unser braver Finne – nennen wir ihn Arto – schwebt vielmehr als körperloser Geist umher. Immerhin kann er jetzt Gedanken lesen und durch Wände laufen. Das Geisterleben hat durchaus etwas für sich.

Wie er schon bald herausfindet, widerfährt dieses Glück nicht allen Frischabgelebten. Wer seinen Verstand nämlich schon zu Lebzeiten versoffen hat – ein krasses Beispiel wird angeschaulich geliefert -, dessen Geistsubstanz löst sich schon binnen weniger Stunden in Wohlgefallen auf. Ein Glück, dass Arto ein wahrer Intelligenzbolzen ist! So kann er uns fast ein ganzes Jahr lang unterhalten.

Nachdem er sich von seiner Witwe verabschiedet hat, die sich wieder fröhlich den weltlichen Freuden zuwendet, stößt Arto auf Leute, die einschlägige Erfahrungen mit dem Jenseits gemacht haben. Jesus gehört vorerst nicht dazu, denn dessen Groupies haben ihm den Aufenthalt auf der Erde so vergällt, dass er sich irgendwo beim Jupiter herumtreibt, heißt es. Die Geister sind in der Lage, gedankenschnell von Punkt A nach B zu fliegen. Mondflüge sind an der Tagesordnung.

Dafür hat Arto eine anregende Unterhaltung mit Papst Pius IX (S. 58-62), der die Dogmen der unbefleckten Empfängnis und der Unfehlbarkeit des Papstes aufstellte, als er im 19. Jahrhundert als Papst regierte. Damit versetzte er, *harhar*, die Regierungen Europas in ziemlichen Aufruhr. Das tat er offenbar, um das Papsttum vor der endgültigen Bedeutungslosigkeit zu bewahren. Man kann heute rückblickend sagen, dass ihm das vollauf gelungen ist.

Bei seinen Streifzügen durch die Welt der Geister wird es Arto ein wenig einsam. Er sucht eine Gefährtin. Auf der Intensivstation eines Helsinkier Krankenhaus lernt er Elsa kennen, eine schöne Frau in den Dreißigern, die offenbar an einer unheilbaren Krankheit leidet. So fies es klingt, so betet Arto doch für den baldigen Tod der Angebeteten, damit er sie kennen lernen kann. Als es soweit ist, bringt er auf dem Mond sein Liebesgeständnis so ungeschickt vor, dass die Lady sofort das Weite sucht. Fortan begleitet er ein altes Mütterchen zurück zum blauen Planeten. In Peru geraten sie in eine Revolution.

Durch die Alte und einen professionellen Selbstmörder namens Sergej enthüllt sich Arto endlich seine wahre Berufung: Er wird die Träume der Lebenden beeinflussen. Als er sich das erste Mal als Sandmännchen betätigt, ist die Erfahrung einerseits befriedigend, aber auch sehr frustrierend. Er holt sich Rat bei Papst Pius, denn der weiß in Sachen Menschenträume offenbar gut Bescheid.

Und da bald Weihnachten, also Jesu Geburtstag ist, kommt der Heiland bald persönlich auf Tournee nach Helsinki. Das Jenseits ist eindeutig nicht langweilig. Zu guter Letzt muss Arto noch Elsa zurückgewinnen, um sein Glück perfekt zu machen …

_Mein Eindruck_

Ähnlich wie Paasilinnas Südsee-Roman „Vorstandssitzung im Paradies“, der 17 Jahre später veröffentlicht wurde, ist „Im Jenseits ist die Hölle los“ eine humorvolle Untersuchung und Verulkung liebgewonnener Ansichten, wenn nicht sogar Dogmen von dem, was nach dem Tod kommt. Witzigerweise kommen bei Paasilinna sogar Atheisten und Agnostiker auf ihre Kosten, die ja keineswegs an einen Gott glauben, schon gar nicht an einen christlichen oder sonstigen kirchlichen.

Was Arto im Jenseits, der Geisterwelt vorfindet, ist einerseits ernüchternd, andererseits auch interessant. So ein Geisterleben hat neue Qualitäten: Gedanken lesen, Träume korrigieren, zum Mond fliegen. Nur mit der Liebe und anderen körperlichen Genüssen haut es nicht so recht hin – es ist eben eine ver-geist-igte Existenz. Dafür kann man den Damen beim Nacktbaden zusehen, ohne gesehen zu werden – das findet auch der Papst klasse. Wobei sich allerdings die ästhetischen Geschmäcker stark unterscheiden. Der Papst steht, für Arto unverständlich, auf füllige Damen. Er kommt eben aus einer anderen Zeit.

Es ist interessant, wie sehr sich Arto für die kirchlichen Autoritäten interessiert. Nicht nur Jesus und der Papst interessieren ihn, in Alltagsangelegenheiten holt er sich schon mal Seelentrost und Ratschlag bei Propst Hinnermäki. Die weltlichen Autoritäten sind ihm alle irgendwie zu korrupt oder sonstwie diskreditiert. Und wenn das nicht der Fall sein sollte, dann stutzt er sie zurecht. Er zeigt uns den seinerzeitigen Staatspräsidenten Kekkonen in Unterhose und im Bad. (So etwas tat schon Bob Dylan 1965 mit Nixon.)

Da dies eine quasi metaphysische Komödie ist, werden auch die Guten belohnt und die Schlechten bestraft. Der Bauer, der sein gesamtes Gut versauft und verhurt, legt schon kurz nach seinem Alkohol-induzierten Exitus eine Vollverdampfung hin. Das arme, einsame Mütterchen, das irgendwo in Lappland seinen Lebensabend mit dem Hund verbringt, ist jedoch eine Seele, die Arto unbedingt retten will. Da bekommt er richtig faustische Anwandlungen. Es zeigt sich, dass sie aus ihrer fundamentalistisch-christlichen Religionsgemeinschaft der Altlästadianer ausgestoßen wurde und jetzt niemanden mehr hat, mit dem sie reden kann (der Hund zählt wohl kaum). Diesen Missstand will Arto unbedingt beheben, forscht nach der Ursache und bringt dem Urheber des Bannspruchs üble Träume. Natürlich wird er vom Träumer für Satan persönlich gehalten. Doch Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Und an Heiligabend will Arto dem Mütterchen einen besonders schönen Traum bescheren.

Dies ist so ziemlich alles an Plot, was der Autor aufzubieten vermag. Das ist wahrlich nicht viel, sondern erinnert zuweilen an eine Nummernrevue von possierlichen Kuriositäten. Doch für Arto ist dies ein Lernprozess, der ihn zu einem besseren Men-, pardon: Geist macht. Und er als solcher darf in Elsas Armen die Erlösung finden. Der Handlungsverlauf folgt also im Grunde einem traditionsreichen Muster, das spätestens mit den mittelalterlichen Heiligenlegenden und Bunyans „Pilgrim’s Progress“ begann. Allerdings muss Arto keine Heldentaten vollbringen und Versuchungen abwehren, wie das in Ritterromanen gang und gäbe ist (z. B. „Sir Gawain“, 14. Jahrhundert). Doch um ein guter Sandmann oder Traumbringer zu werden, ist eine gewisse Läuterung erforderlich – seine weltliche Reise zielt darauf ab.

_Unterm Strich_

Der Roman soll unterhalten, doch muss man fast 90 Seiten warten, bis endlich so etwas wie ein Plot auftaucht: Das Mädchen Elsa wird von Arto geliebt, aber leider hat sie kein Verständnis für seine Gründe, ihr Ableben zu wünschen. Zu spät erkennt er, welchen Verlust ihr Tod für ihre menschliche Umgebung bedeutet. Sie zurückzugewinnen – dem gilt zwar fortan nicht sein ganzes Sinnen und Trachten, doch er ist wirklich froh, sie wiederzubekommen.

Der Autor wandert also einen schmalen Grat am Kitsch entlang. Er macht aber diese Romanze nicht zum Hauptmotiv; sie ist vielmehr stark heruntergespielt. Wichtiger sind ihm quasi journalistische Themen: die Politik des Papstes etwa, oder die Leiden, die fundamentalistische Sekten oder militärische Putsche mit sich bringen. Artos Geist hat eben immer noch ein Gewissen. Das ist wahrscheinlich gut so, denn nun hat er wenigstens einen Grund gefunden, eine Existenz als Geist zu fristen – er will für andere da sein, ja, sogar für die Leidenden kämpfen. Wohlan denn, Sandmann!

|Die Übersetzung|

Die Übersetzung von Regine Pirschel ist wieder einmal einwandfrei. Den trockenen, ironischen Tonfall des Erzählers bringt sie gut zum Ausdruck. (Paasilinna macht sich nicht schenkelklopfend über Leute lustig. Das muss der Leser schon selber tun.)

Nur auf Seite 192 scheint mir eine Zuweisung der Sprecher durcheinander geraten zu sein. Der Papst hält eine elend lange Rede im Beisein von Propst Hinnermäki und Arto. Im Anschluss daran heißt es: „Der Papst saß lange schweigend da. Hinnermäki war völlig verwirrt. Er grübelte heftig über die päpstlichen Worte nach.“ Statt „Der Papst saß lange schweigend da“ scheint mir daher „Der Propst saß lange schweigend da“ wesentlich mehr Sinn zu ergeben. Man kann aber auch die Wörter Papst und Propst sehr leicht verwechseln.

Garcia, Eric – Anonymus Rex

_Philip Marlowe, der Velociraptor_

Die Dinos sind unter uns! Das ist die Horrorbotschaft dieses Buchs. Beruhigend daher die zweite Botschaft: Sie haben die gleichen Probleme wie wir! Dazu gehört zum Beispiel, am leben zu bleiben, seine Brötchen zu verdienen (Joe Cocker ist ein Dino, wir haben’s geahnt) und Vergnügen mit dem anderen Geschlecht zu haben. Kompliziert wird’s nur, wenn dieses andere Geschlecht einer ganz anderen Gattung angehört: den Menschen.

Man merkt schon: Dieser klassische Detektivroman ist im Grunde eine menschliche Komödie im Dinogewand. Aber da es zuweilen eine schwarze Komödie ist, hat sie auch warnenden Charakter: Wer mit dem Erbgut anderer Gattungen herumspielt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Schuss nach hinten losgeht …

_Handlung_

Privatdetektiv Vincent Rubio hat einen schlechten Tag erwischt: Mrs. Ohmsmeyer lässt ihn ihren fremdgehenden Gatten beschatten. Bewaffnet mit einer Kamera, parkt Vince vor dem bewussten Haus, wo Mr. Ohmsmeyers Stelldichein stattfindet, dann zieht er sich erst einmal eine ordentliche Ladung Basilikum rein – ist eben gutes „Gras“ – und macht sich daran, die besten Fotomotive zu bekommen. Leider wird inzwischen sein Wagen von einem Wiederbeschaffungsunternehmer abgeschleppt und der vermeintliche Ehebrecher stellt sich als Mr. Ohmsmeyers Nachbar heraus. Kein guter Anfang.

„Was soll denn bitteschön daran besonders sein?“, fragt ihr wohl zu Recht. Nun, zum einen ist Vincent Rubio ein als Mensch verkleideter Velociraptor (ein solcher wie aus „Jurassic Park“, jawoll), der vermeintliche Mr. Ohmsmeyer ist ein Iguanodon, seine Partnerin ein Ornithomimus und der Repoman ein Compsognathus, kurz: Compy. Da haben wir ja einen schönen Zoo beisammen – und das alles im modernen Los Angeles?!

Entgegen anders lautenden Gerüchten leben die Dinos noch heute mitten unter uns. Allerdings sehen alle diese Dinos meistens aus wie normale Menschen, angetan mit täuschend echtem Latex, mit Kontaktlinsen und allem, was dazugehört. Doch die Dinos haben die gleichen Probleme wie wir: So ist beispielsweise der Chef von Vincents Agentur ein ungehobelter T. Rex, der ihn am liebsten feuern würde. Es ist eben keine perfekte Welt.

Als eine Dino-Disco in L.A. in Flammen aufgeht, bekommt Vince nach diesem schlechten Start noch eine allerletzte Chance vom Boss. Doch was zunächst wie ein simpler Versicherungsbetrug aussieht, wird bald zum spektakulärsten Fall in Vincents Laufbahn. Die Spur führt nach New York City, wo vor Monaten Vincents bester Kollege Ernie bei einem Autounfall umgekommen ist – was Vince natürlich keine Sekunde lang glaubt. In der Großstadt kommt er dem unorthodoxen Arzt und Geningenieur Dr. Emil Vallardo auf die Spur, der in einem stillgelegten Krankenhaus geheimnisvolle Experimente durchführt (wir können uns schon denken, woran!).

Und Judith McBride, eine junge Witwe, die mit Vallardo und der abgebrannten Disco in Verbindung steht, scheint mehr darüber zu wissen, als sie zugibt. Alls Vince endlich Vallardos Plan durchschaut, ist es bereits zu spät. Der Arzt arbeitet nämlich in Judiths Auftrag daran, Dinos und Menschen endgültig miteinander zu verschmelzen und Kreuzungen herzustellen. Natürlich ist es Vincents noble und heroische Aufgabe, die Welt zu retten und diesem Jünger von Dr. Mengele das Handwerk zu legen …

|Die andere Seite der Geschichte|

Es war einmal ein armer reicher Menschenjunge namens Roger Mcbride. Dem Waisenknaben erzählte seine Adoptivmama, dass es auf der Welt viele Dinos wie sie selbst gibt und erzog ihn wie einen. Roger lernte als junger Mann Judith in Kansas kennen, verliebte sich und heiratete sie. Natürlich erzählte er ihr von dem Leben, das er als einziges kannte: das eines Dinos.

Nachdem Roger sein umfangreiches Erbe angetreten hat, sollte eigentlich alles in Butter sein. Leider erstreckte sich sein sexueller Appetit nicht nur auf Judith, sondern auf einige Dutzend Dino-Sekretärinnen usw., darunter auch eine gewisse Jocelyn Holden. Diese Dame war jedoch schon mit Donovoan Burke liiert, einem Nachtclubbesitzer und gutem Freund der McBrides. Um sich an ihrem fremdgehenden Mann zu rächen, fing Judith eine Affäre mit Donovan an. Natürlich war auch Donovan ein Dino.

Bemerkenswert ist nun, dass sowohl Roger als auch Judith Kinder mit dem jeweils anderen Angehörigen der anderen Gattung in die Welt setzen wollten. Und hier kommt natürlich Dr. Emil Vallardo, den die McBrides finanzierten, ins Spiel, aber auch der Rat der Dinos. Ein solcher Rat existiert in jeder größeren Stadt und dient dazu, die Gesetze durchzusetzen: Dino-Arten dürfen nicht untereinander gekreuzt werden (sofern möglich), und für die Kreuzung mit Menschen gilt dieses Verbot natürlich erst recht. Daher mussten Vallardos Versuche in größter Heimlichkeit stattfinden.

Jedenfalls findet man Roger McBride eines Tages ermordet in seinem Blut. Vincent geht den gefälschten Beweisen vom Tatort auf den Grund: Es war ein Mord, den ein Dino verübt hatte. Und bald danach verschwanden drei Dinos von der Bildfläche: Jocelyn Holden im Untergrund; Donovan Burke übernahm Judiths Dino-Disco in L.A., die später abbrannte; und Detektiv Ernie Watson (!), der die Hintergründe des McBride-Mordes aufgedeckt hatte.

Wie weiland Philip Marlowe in Trenchcoat und Schlapphut, die Kippe im Mundwinkel, deckt Vincent Rubio hartnäckig, wenn auch pleite, die skizzierten Hintergründe auf. In einem furiosen Finale widerfährt den meisten Schuldigen Gerechtigkeit. Doch was wurde aus den gekreuzten Mischlingen? Nun, wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute und schicken Postkarten aus Costa Rica.

_Mein Eindruck_

|Eine Parodie|

Wie man schnell merkt, ist dieser Plot so was von altbacken, dass er nur noch als Parodie taugt. Zillionen von L.A-Schnüfflerstreifen liefern Vorbilder, gegen die der Autor lustvoll anschreiben kann. Nachdem aber nun vier „Jurassic-Park“-Filme Jung und Alt mit den Dinos auf Du und Du stehen lassen, bietet dieses Wissen eine ebenso gute Vorlage für eine zünftige Parodie.

Natürlich richtet sich die Parodie auch gegen diese Filme, insbesondere gegen den ersten. Der gute Vincent sieht in Spielbergs Darstellung der Velociraptoren seine eigene Art verunglimpft: „Schließlich, was sollte einen Raptoren mit einem Minimum an Selbstachtung dazu bringen, irgendwelche wildfremden Leute anzugreifen, die ihm nicht mal schmecken würden?! Es sei denn natürlich, so ein Raptor möchte aus seinem Käfig ausbrechen.“

|Schnüffler und Leisetreter|

Dass der Autor den guten alten Detektivroman als Schablone gewählt hat, um seine Story zu erzählen, verhilft dem Leser natürlich zu einem bekannten Bezugsrahmen. So kann er die abstruse, ein wenig verworrene Story leichter verfolgen und die notwendigen Querverbindungen zwischen den Akteuren ziehen.

Vincent ist im Gegensatz zu Humphrey Bogart alles andere als ein guter Detektiv, aber ein hervorragender „Schnüffler“. Denn während Großstadtmenschen schon längst ihren Geruchssinn weitgehend verloren haben, beobachtet Vincent (und die meisten anderen Dinos) die Welt in der Dimension des Geruchs. Dieser fundamentale Unterschied spielt auf vielerlei Weise eine große Rolle bei der Aufklärung der Verbrechen – ein Grund mehr, warum dieser Roman nicht nur witzig, sondern auch interessant ist.

|Karneval und Halloween|

Genauso, wie sich Dinos als Menschen kostümieren und umgekehrt Menschen (Judith & Roger) als Dinos agieren, genauso lassen sich Duftsignaturen fälschen und kaschieren. Das Thema der Verkleidung kann bis zur dritten Potenz getrieben werden: Dinos, die sich normalerweise als Menschen kostümieren, können zu Halloween, zu dem die Handlung spielt, als Dinos kostümieren, um Menschen zu erschrecken. Es ist kein Wunder, dass der Autor dem Thema der Verkleidung und ihren zahllosen Varianten großen Spielraum einräumt. Ein Karneval in Venedig ist nichts dagegen.

|Äkschn & Sätisfäkschn|

Die Äkschn kommt keineswegs zu kurz, wie vielleicht befürchtet wird. Ein Raptor weiß sich zu wehren! Da gibt es blutige Zweikämpfe in dunklen Hinterhöfen, Entführungen in das einsame New Jersey, vom feinen Finale und Zweikämpfen in den Bettlaken ganz zu schweigen. Allerdings hält sich die Gewaltrate auf sehr erträglichem Niveau.

|Die Sprache|

Eine Parodie lebt wie jede humorvolle Erzählung von ihrer Sprache, sonst wäre sie bierernste Kritik. Zu Anfang schien mir der Ton der Erzählung – Vincent erzählt von sich selbst und im Präsens – als zu beredsam und sich seiner selbst bewusst, also selbstgefällig. Dieser Eindruck verflog mit zunehmendem Tempo der Handlung.

Es ist vielmehr so, dass Vincent ein außergewöhnlich gebildeter Schnüffler seiner Zunft ist, obwohl er chronisch außerstande ist, seine Rechnungen zu bezahlen. Woher also diese Bildung? Der Autor verrät uns nur, dass die einzige Lektüre für Vincent in der TV-Zeitschrift besteht und er nicht mal weiß, wie man ins Internet kommt. Auch sein PC dient nur als Geschirrablage. Vince scheint keine Uni-Ausbildung zu haben, geschweige denn einen Highschoolabschluss.

Sobald man sich mit diesem Widerspruch abgefunden hat (wie mit so vielen in der Welt), bekommt man so richtig Spaß an Vincents Eskapaden. Die deutsche Übersetzung bringt diese vielseitige Ausdrucksweise richtig rüber, bis hinein in den Szenejargon, den wir an Film-noir-Filmen um Marlowe, Spade & Co. so lieben.

_Unterm Strich_

Eine sorgfältig aufgebaute Parallelrealität mit der Funktion, unsere menschliche Wirklichkeit zu kommentieren und den Leser zu unterhalten – mit einigen Seitenhieben auf Gentechnologie und anderen Frevel an der Natur.

_Der Autor_

Eric Garcia geht erst auf die 30 zu, stammt aus Miami und besuchte die renommierte Cornell University, wo er eine Comedy-Truppe gründete, die bis heute Erfolge feiert (wie uns der Verlag verrät). Anschließend studierte er an der Uni von Südkalifornien Drehbuchschreiben und Creative Writing. Dass Garcia mit seiner Frau in L.A. lebt, dürfte klar sein. Mittlerweile hat er schon den nächsten Vincent-Rubio-Roman fertig: „Casual Rex“ (ein Anspielung auf „casual sex“, beiläufiges Liebesspiel).

|Originaltitel: Anonymous Rex, 2000
Aus dem US-Englischen übertragen von Kristian Lutze|

Paasilinna, Arto – Nördlich des Weltuntergangs

_Asterix lebt: Kleinbonum liegt am Polarkreis_

Eine globale Krise erschüttert die Welt. Das Wohl der Menschheit ist bedroht – überall! Wirklich überall? Nein, in einem kleinen Dorf – nein, nicht in Gallien, sondern in Nordfinnland freuen sich ein paar lustige Finnen ihres Lebens und bleiben von allen Katastrophen wie etwa dem Dritten Weltkrieg verschont. Aber warum? (abgewandelte Verlagsinfo)

_Der Autor_

Der 1942 geborene Lappe Arto Paasilinna hat bisher nahezu vierzig Bücher veröffentlicht, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde, u. a. in Frankreich und Italien. Einige davon wurden bereits verfilmt. Paasilinnas Spezialität ist die humorvolle Parodie, die bestimmte Charakterzüge der Finnen und umgebenden Völkerschaften ironisch thematisiert.

Erschienen sind bisher:

– Der heulende Müller
– Die Giftköchin
– Der Sohn des Donnergottes
– Im Wald der gehenkten Füchse
– Der Sommer der lachenden Kühe
– Das Jahr des Hasen
– Die Rache des glücklichen Mannes
– Der wunderbare Massenselbstmord
– Nördlich des Weltuntergangs
– [Vorstandssitzung im Paradies 637
– [Im Jenseits ist die Hölle los 640

_Handlung_

Alles beginnt damit, dass der alte Asser Toropainen, der alte Kirchenbrandstifter, im Sterben liegt und einen letzten Wunsch hat. Und dieser Wunsch ist ziemlich merkwürdig für einen ehemaligen Sozi: Er möchte, dass sein Geld in eine Stiftung eingebracht wird, mit der man eine Kirche errichten soll. Aus dem Brandstifter ist ein Kirchenstifter geworden? Die Leute, die ihn kennen, fassen sich an den Kopf. Doch Assers Enkel Eemeli verspricht dem Sterbenden, seinen letzten Wunsch zu erfüllen.

Gesagt, getan. Eemeli findet in den hinterletzten Wäldern Finnlands, wo noch Wölfe umherstreifen, einen wunderschönen See, auf dessen Steilufer er eine Kirche zu errichten beschließt. Nachdem er das Vorbild ausgewählt, die Handwerker zusammengeholt und die Baugenehmigung beantragt hat, legt er schon mal los mit dem Bauen.

Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Die Baubehörde verweigert die Genehmigung mit der Begründung, nicht jeder könne einfach so mir nichts dir nichts eine Kirche in die Botanik stellen. Was würde da die Amtskirche dazu sagen? Doch Eemelis Bau ist schon zu weit gediehen, als dass er willens wäre, sich seine Konstruktion wieder abreißen zu lassen. Und so gibt es gegen den Widerstand der Baubehörde, der Polizei und des Pfarrers ein schönes Richtfest. Prost!

Es findet sich sogar eine streitbare weibliche Feldgeistliche, die dem Bischof und seinen chauvinistischen Schergen ordentlich Kontra gibt. Um die Kirche sammeln sich immer mehr Leute, siedeln sich an, bringen sich ein, sogar eine Kolonie der Grünen entsteht, die – wie könnte es anders sein – „Grünberg“ heißt. Nach einer Weile sieht sich Eemeli sogar gezwungen, eine „Partisanentruppe“ unter dem Kommando eines alten Veteranen aufzustellen, um russischen und anderen Eindringlingen Einhalt zu gebieten. Eemelis Weizen blüht.

Doch die größten Prüfungen stehen der kleinen Kolonie Ukonjärvi erst noch bevor. Denn erst geht Europa vor die Hunde, dann der Rest der Welt. Der Kampf um die letzten Öl- und Nahrungsreserven mündet in den Dritten Weltkrieg: exakt 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten. In dessen Verlauf stürzt sogar ein arabischer (!) Bomber mit einer H-Bombe an Bord unweit von Ukonjärvi ab. Die Bombe lässt sich auf beschwerliche Weise entfernen und halbwegs sicher deponieren, doch als an Ukonjärvis Grenzen ein Frauenkreuzzug mit rund 40.000 Frauen und Kinder und Alten auftaucht, trägt die Erwähnung der H-Bombe dazu bei, die drohende Invasion abzulenken. Statt der Männer des kleinen Ukonjärvi werden auf Anraten Eemelis die Männer des ausgedehnten Ostbottniens im Süden beglückt.

Als der mehrjährige Krieg vorbei ist, wird das Ausmaß der Verwüstungen erkennbar. Der mittlerweile achtzigjährige Eemeli braucht eine Herzoperation, doch die Zustände im Gesundheitswesen des fernen Helsinki sind so niederschmetternd, dass er lieber das Angebot seines Feldarztes Seppo Sorjonen annimmt. Der hat auch inzwischen an einem zugelaufenen Braunbären seine Technik der Herzchirurgie vervollkommnet und nimmt sich nur allzu gern seines Freundes an.

_Mein Eindruck_

Nein, Ukonjärvi ist nicht Kleinbonum, und es tritt auch kein Julius Caesar auf, der seine Legionen gegen die Palisaden des letzten freien Dorfes in Gallien, pardon: Finnland führt. Das ist auch gar nicht nötig, denn Ukonjärvi hat nie seine Unabhängigkeit von Finnland erklärt. Allein seine unglaublich abgeschiedene Lage im äußersten Nordosten des Landes, kurz vor der russischen Grenze, schützt es vor allzu zudringlichen Zugriffen der finnischen Staatsgewalt.

Dass es mit dieser Zentralgewalt nicht mehr allzu weit her ist, wird sukzessive an deren hilflosen Aktionen demonstriert. Da ist natürlich erst einmal der Vertreter der Amtskirche. Er wird schnell als armes Würstchen und williger Erfüllungsgehilfe der Regierungsbehörden entlarvt. Ja, am Schluss wird die Amtskirche als ebenso volksverdummend bloßgestellt wie die Zensurbehörden: Nein, der große Komet, der da schnurstracks auf die Erde zufliegt, sei nur eine Sinnestäuschung und die Leute hätten keinerlei Anlass zur Panik. Ukonjärvi weiß es besser und bereitet sich vor.

Wo aber die Parallele zum „Gallischen Krieg“ und den Asterix-Comics stimmt, das ist der Widerstand gegen eine europäische Zentralgewalt, die von den Bedürfnissen ihrer äußeren Provinzen, namentlich Ukonjärvi, keinen blassen Schimmer hat. Das muss Eemeli, als er das Post-War-Helsinki besucht, am eigenen Leib erfahren. Eemeli ist unser Asterix, der sich mit finnischem Starrsinn gegen die sinnlosen Erlasse aus Brüssel, Helsinki und irgendwelchen Provinzstädtchen zur Wehr setzt. Er weiß eben, was gut für ihn und seine braven Mitbürger ist, beraten von Taina, seiner loyalen Gattin, und der braven Feldgeistlichen.

Dass es den Nachkriegsrussen mit ihrer eigenen Bürokratie kein Deut besser geht, muss der ausgesandte Spion Severi Horttanainen erfahren. Ebenso wie das unglückliche New York City ist auch St. Petersburg in seinem eigenen Müll erstickt und ersoffen – die Newa musste sich einen neuen Durchfluss suchen. Spionierend irrt Severi in der fast völlig verlassenen Stadt umher, bis er die berühmte Peter-und-Paul-Festung erreicht, wo einst die Staatsfeinde der Bolschewisten etc. eingebuchtet wurden. Da er weder Papiere noch einen glaubwürdigen Grund für seine Anwesenheit vorweisen kann, steckt man ihn kurzerhand in die Zellen zu den anderen armen Irren. Nur mit viel Glück gelingt es dem fast Achtzigjährigen zu überleben und zu entkommen, um seine Geschichte in Ukonjärvi zu erzählen.

Der Autor benutzt alle Tricks in seiner Kiste, um die Chronik Ukonjärvis als strahlendes Gegenbeispiel zur Europäischen Union aufzubauen. In Brüssel herrschen bürokratische Inkompetenz, in Ukonjärvi Bürgersinn, lokales Know-how und Unternehmergeist – mit 80 unternimmt Eemeli noch eine Expedition! Und das alles wegen einer illegal gebauten Kirche und einer Stiftung.

Eemeli und Co. sind nicht ohne Fehl und Tadel, sicher. Dass Ukonjärvi gerne auch einmal dem Alkohol zuspricht und die Gesetzgebung und Rechtsprechung auf seine unkonventionelle Art erledigt, geht jedoch für den Autor völlig in Ordnung. Hier, janz weit draußen, hat das Leben offenbar andere Gesetze. Und diese sichern Ukonjärvi das Überleben. Ja, ganz am Schluss wird dieses Kunststück sogar noch belohnt – dem Kometen sei Dank.

Was der Autor schon im Jahr 1992 mit seinem Buch fertigbringt, ist eine humorvolle, aber offenbar ernst gemeinte Kritik an einem möglichen EU-Beitritt seines Landes. Dass es sich um eine Satire pro EU-Beitritt handeln könnte, wird dadurch widerlegt, dass Ukonjärvi nicht als Hort von Schildbürgern dargestellt wird, sondern als Insel der Vernunft in einem Meer des Wahnsinns. QED: Während im Rest der Welt der Atomkrieg tobt, herrschen in Ukonjärvi eitel Friede und relativer Wohlstand. Weder H-Bombe noch Komet können dieser Insel etwas anhaben. Hauptsache, die Sauna funktioniert.

|Schwächen|

Warum der deutsche Verlag diese EU-Kritik NACH dem EU-Beitritt Finnlands veröffentlichte, bleibt ein Rätsel. Aber: There’s no business like showbusiness. Und so lässt sich auch dieser unterhaltsame Roman als „skurriler Spaß“ verkaufen. Das Problem mit dem Roman liegt ganz woanders: Er hat keine Handlung. Schließlich erzählt hier der Autor als Chronist verschiedene Begebenheiten im Leben seiner Helden. Ein Drama in fünf Akten lässt sich daraus ebenso wenig stricken wie eine Komödie in drei Akten. Eine Soap-Opera kommt der Struktur schon näher: Eine Episode reiht sich an die nächste, und ab und zu wird die Zeit auch mal gerafft. Spannend ist lediglich die Frage in jeder Episode, ob die Probe, auf die Ukonjärvis Existenz diesmal gestellt wird, bestanden wird. Das kann ja auch ganz nett sein.

|Die Übersetzung|

Die Übertragung ins Deutsche war sicher nicht einfach, denn es finden sich doch unwahrscheinlich viele antiquierte Ausdrücke aus der Jagd, Landwirtschaft und Fischerei, sodass die Übersetzerin wohl erst eine Weile nach den deutschen Fachausdrücken suchen musste. Ich weiß selbst jetzt noch nicht, was eine Trampe und eine Simme sind. Immerhin hab ich schon gelernt, was man unter Stubben und Schwenden versteht. Es findet sich keine einzige Fußnote im Buch, die solche Ausdrücke erläutern würde.

Gleiches gilt auch für die zahlreichen Insiderwitze. Diese sind nur für eingeborene Finnen zu verstehen, ganz besonders, wenn sie aus den Gegend des erfundenen Ukonjärvi stammen. Hier geht der Witz beim deutschen Leser ins Leere, und das ist weniger schön. Die Übersetzerin hätte sich die Mühe machen sollen, die Pointe per Fußnote zu erklären. Gut möglich, dass uns so eine weitere Bedeutungsebene vorenthalten worden ist.

_Unterm Strich_

Eine Chronik über den finnischen Asterix kann auch ganz lustig sein, beweist dieser Roman aus dem Jahr 1992. Die Hauptstadt der europäischen Bürokratie füllt die Rolle des alten Roms unter Cäsar mustergültig aus, mit sämtlichen Narreteien und tragischen Folgen. Doch Ukonjärvi, das finnische Kleinbonum, überlebt und wehrt alle Anfechtungen souverän mit gesundem Menschenverstand ab. Auch andere Geheimwaffen gelangen zum Einsatz, als da wären Schinken, Kräuterschnaps und Sauna, massenhaft Sauna (schließlich verfügt jedes achtbare Haus über eine).

Aber auch die Burgmentalität liegt den Bewohnern Ukonjärvis nicht im Blut: Sie unternehmen Expeditionen, Rettungs- und Bergungsaktionen, nehmen Bedürftige auf und gründen eine Kolonie. Sicher, die Invasion von 40.000 indischen und pakistanischen Frauen und Kindern muss abgewehrt werden, aber hey, dafür haben andere Männer etwas davon, oder?

Hätte der Roman einen anderen Aufbau als den einer Chronik, so wäre er noch einmal so spannend und unterhaltsam. So aber lässt sich die Lektüre der Episoden jederzeit und für unbegrenzte Zeit unterbrechen, ohne allzuviel an Unterhaltungswert einzubüßen. Seinen eigentlichen und vielleicht sogar geheimen Zweck hat das Buch nicht erfüllt: den EU-Beitritt Finnlands zu verhindern. Macht nix. Dafür haben wir heute fast alle Nokia-Handys.

|Originaltitel: Maailman Paras Kylä, 1992
Aus dem Finnischen übersetzt von Regine Pirschel|

Barry Gould / Amelie Fichte – 11 leichte Lektionen in schwarzem Humor

Warnung: Die Art von Humor, die ihr in dieser Buchvorstellung antreffen werdet, kann eure zarten Nerven nachhaltig schädigen. Ich lehne jede Verantwortung ab und gebe keine Garantie über die Korrektheit dieser Informationen. (Nach Diktat unbekannt verreist. Das Sekretariat.)

Die Autoren

Barry Gould, 1964 in San Francisco als Kind von Hippies geboren, lebt heute in Deutschland. Er ist professioneller Comedian und tritt seit 14 Jahren mit seinen Comedyshows auf. Dies ist sein erstes Buch. Amelie Fichte, geboren 1973 irgendwo in Deutschland, studierte irgendwo Literatur und wurde schließlich Lektorin bei irgendeinem Verlag. Gould ist ihr erster Co-Autor. Mehr verrät der Verlag Ehrenwirth leider nicht über die beiden Autoren.

Das Titelbild

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W., Moses (Wieczorek, Moses) – Das rockt! Bekenntnisse eines Heavy Metal Fans (Roman)

„Das Rockt! – “Bekenntnisse eines Heavy Metal Fans“ ist die Geschichte eines Hard Rock Fans auf seiner Odyssee, sich selber, seine Musik und den Rest der Welt in einen harmonischen Dreiklang zu bringen. Was Rocko Shamoni mit „Dorfpunks“ und Heinz Strunk mit „Fleisch ist mein Gemüse“ für den Punk und die Unterhaltungsmusik geschrieben haben, liefert Moses W. für den Hard Rock: eine authentische Fanbiographie, die als amüsante Lebensbeichte offen und laut viel Schönes, aber auch viel Unschönes an den Tag legt. ATZE SCHRÖDER, COMEDIAN: “Dieses Buch, nein Werk, war überfällig. Mit gewaltiger, facettenreicher Sprache schildert Moses ein musikalisches Beziehungsdrama, bei dem Einsamkeit, Wahnsinn, Sex und Liebe die Dramaturgie übernommen haben.“ (Verlagsinfo)

Moses Wieczorek ist ein echtes Ruhrpott-Original. Aufgewachsen in einem Essener Stadtteil, erkannte der Mann in den Achtzigern die Zeichen der Zeit und widmete sich der besonders in der Industriezone Rhein/Ruhr geliebten harten Musik. Bands wie AC/DC und KISS waren es, die ihn lockten, bevor er dann bei Veranstaltungen wie dem |Monsters Of Rock| schon zum Edelfan geschlagen wurde, der jedoch stets sein Dasein als Fan mit ein wenig Ironie betrachtet hat – zumindest nachdem er selber als Musiker diverser Bands erkannt hat, wie die Mühlen des Business mahlen. Heuer verdingt sich Wieczorek als Comedian und neuerdings auch als Schriftsteller.

Während eines Auftritts seiner letzten Band erkannte er, welche Entertainer-Qualitäten in ihm steckten, und entwickelte sich auf diesem Gebiet immer weiter. Heuer zählt er mit diversen Live-Programmen zu den angesagtesten Comedy-Stars der Bühnenszene und hat mit Kollegen wie Atze Schröder auch Fürsprecher auf seiner Seite, die im witzigen Geschäft ein gewichtiges Wort mitreden dürfen. Doch wie es überhaupt dazu gekommen ist, wie aus dem Heavy-Metal-Fan Moses W. der Mann wurde, der er heute ist, und wie ihn die Musik in seiner Jugend und im frühen Erwachsenenalter geprägt hat, das erzählt er in seinem unterhaltsamen 2007er Buchdebüt „Das rockt!“.

Und die Geschichte des Essener Jung rockt in der Tat, denn das, was er in „Das rockt!“ beschreibt, sowie sein zynischer Überblick über all die Dinge, die sich innerhalb der Szene Jahr für Jahr wiederholen, sorgt nicht nur für ständige Lacher, sondern ist auch noch intelligent verfasst, ohne dass sich Wieczorek hierbei über die allseits beliebten Klischees auskotzt. Klar, Gruppen wie MANOWAR und die SCORPIONS werden natürlich mächtig auf die Schippe genommen, die soften Vertreter der Metal-Zunft bekommen ihr Fett weg, und der Autor maßt sich auch an, zu analysieren, für wen der Metal bestimmt ist und für wen eher nicht, aber Herr W. rezitiert nicht ständig das, was im Blätter- und Buchwald ständig als angesagt gilt. Andererseits ist „Das rockt!“ auch kein sarkastischer Faustschlag in die Tiefenzone wie etwa die bisherigen Werke von Till Burgwächter.

Wieczorek bleibt niveauvoll, stichelt aber dafür in einem Rundumschlag in allen Teilen der Szene herum. Die Frisuren der 80er-Standard-Rocker – Stichwort: vorne Rostock, hinten Woodstock – werden noch einmal näher befönt, die Diskussion um die Lautstärkeregelung erneut gestartet, die Bedeutung von Cover-Zeichnungen und Germanismen innerhalb der Texte englischsprachiger Bands einer Untersuchung unterzogen und dies alles im Kontext der Entwicklung der gesamten Szene betrachtet. So ist sich der Autor auch der neuesten Strömungen ‚unserer‘ Musik bewusst, was sich in seinen kurzen Seitenhieben Richtung LORDI zeigt. Aber der Mann erweist sich selbst hier verständnisvoll, schließlich ist auch ihm mächtig einer abgegangen, als KISS anno ’96 die Reunion-Maskerade gestartet haben – selbst wenn auch dem Autor klar war, dass sich hinter all dem oberflächlichen Rock ’n‘ Roll eigentlich nur Beutelschneiderei verbarg.

Und so erzählt er seine Geschichte parallel zu der des Heavy Metal, beschreibt Erfahrungen und macht den Leser hier und dort auch schon mal neidisch, schließlich hat der Mann innerhalb dieser Szene auf allerlei Ebenen schon etwas erlebt. Dennoch möchte er keinesfalls über den Dingen stehen oder sich sogar als kritischer Prediger und Verfechter wahrer Werte präsentieren, das verbietet ihm alleine sein toller, intelligenter Humor, aber auch seine nach wie vor anhaltende Stellung als echter Fan. Denn so sehr er sich über manche Sachen auch amüsiert, genauso steht er auch wieder hinter manchen Dingen, die er ausschlachtet, und das macht seine Schreibe ebenso sympathisch wie der wirklich abwechslungsreiche, teils autobiografische Inhalt von „Das rockt!“

Unterm Strich

Was genau verbirgt sich also nun hinter dem Buch? Nun, kurz gefasst hat Moses W. aus vielen Aspekten, die das Leben des Hardrockers seit dem Anbeginn des Fandaseins beschäftigen, eine ganze Reihe Elementares herausgefischt, es kurz, kritisch und vor allem witzig in seinen Gedanken porträtiert und Texte erschaffen, mit denen sich (anders wie zum Beispiel bei Burgwächter) niemand angegriffen fühlen muss und über die selbst Betroffene sicherlich augenzwinkernd grinsen werden. Kurzum: Ein richtig tolles Buch eines aufstrebenden Comedy-Stars und Heavy-Rockers, dessen stets spontane Berichterstattung das Salz in der Suppe auf dem diesjährigen hart rockenden Büchermarkt darstellt. Uneingeschränkt empfehlenswerte Lektüre!

Der Autor

Moses W. macht Stand up- und Musik-Comedy. Er war mit Kurzauftritten u.a. bei NightWash, Starsearch sowie im Quatsch Comedy Club zu Gast, spielt darüber hinaus seit sieben Jahren abendfüllende Soloprogramme. 2002 war er bei Rock am Ring und Rock im Park, zeitgleich mit Ozzy Osbourne, als Comedian im „House of Comedy“. Moses W. ist Gitarrist der Queen-Comedy-Tribute-Band „Burger Queen“. Ein wichtiges Thema in seinen Programmen ist die Liebe zur Musik und speziell zum harten Rock. Moses W. ist Deutschlands einziger Komiker, der dieses Thema auf die Comedy-Bühnen bringt. (Amazon.de)

Taschenbuch: 196 Seiten
ISBN-13: 978-3939106074

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Dave Barry – Die Achse des Blöden. Eine politische Evolutionstheorie der USA

US-Politik als Entertainment

Kaum zu glauben, aber nach Umfragen seriöser Meinungsforschungsinstitute halten mehr als 54 % aller Amerikaner die United States Constitution für ein (erfolgloses) Eishockey-Team. Mit anderen Worten: Kaum ein Amerikaner hat seine Verfassung je gelesen. Obwohl sie ihm doch u. a. das Recht einräumt, unwichtige Post ungeöffnet wegzuschmeißen. Dave Barry dagegen kennt die Verfassung. Und er weiß auch, was es mit der amerikanischen Politik insgesamt auf sich hat: Worum ging es bei der Boston Tea Party wirklich? Was ist der Unterschied zwischen einem Chief Secretary und einem Chief Chief Secretary? Wie wird man Präsident? Und was bestimmt die Geschicke der amerikanischen Nation wirklich? (Verlagsinfo)
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Norman Spinrad – Bilder um 11. Zukunftsroman

Leipzig in L.A. – exklusiv: spannende Mediensatire

Norman Spinrad hat eine bitterböse, aber sehr engagierte Abrechnung mit den Themen Ökologie, Terrorismus und Medienmacht geschrieben, die von der ersten bis zur allerletzten Seite in Atem hält (es gibt Verschaufpausen, keine Sorge).

Spinrad ist kein Amateur auf dem Gebiet: 1967/68 verursachte er mit seinem Medien-Roman „Champion Jack Barron“ einen Skandal, in dessen Folge das Buch im Unterhaus diskutiert und von einer Buchhandelskette verbannt wurde.

In „Bilder um 11“ – der Fortsetzung? – stellt Spinrad sein umfangreiches, kompetentes Insiderwissen über die Medienindustrie, besonders das US-Fensehen, unter Beweis. Aber auch Gebiete wie den Vietnamkrieg und Baseball, Amerikas Nationalsport, nutzt er auf vielfältige Weise.
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Randall Munroe – HOW TO – Wie man’s hinkriegt: Absurde, wirklich wissenschaftliche Empfehlungen für alle Lebenslagen

Die Verlagsinfo:

xkcd-Fans aufgepasst: Nach »What if?« jetzt der weltoriginellste »Self-Help-Guide« von Randall Munroe!
Für jede Aufgabe, die sich uns stellt, gibt es einen richtigen Weg, einen falschen, und einen, der so offensichtlich absurd ist, dass man ihn niemals in Betracht ziehen würde. »How to« ist eine Anleitung zu diesem dritten Ansatz. Es zeigt uns, wie wir digitale Daten versenden, indem wir USB-Sticks an Zugvögeln befestigen. Wie wir unserem Auto Starthilfe geben, indem wir elf Jahre auf eine Sonneneruption warten. Wie wir herausfinden, ob wir zur Generation der Babyboomer gehören oder ein Kind der Neunziger sind – nämlich, indem wir die Radioaktivität unserer Zähne messen lassen. Und wir erfahren, wie wir endlich pünktlich zu Verabredungen kommen: indem wir mal eben den Mond zerstören. Mit seinen berühmten Strichzeichnungen erklärt Randall Munroe, wie man einfache Probleme auf die allerschwierigste Weise bewältigen kann. Wie schon sein Bestseller »What if?« ist »How to« witzig und horizonterweiternd und hilft uns zu verstehen, welche wissenschaftlichen und technischen Phänomene unserem Alltag zugrunde liegen.

Mein Eindruck:

Was kann den Leser wohl erwarten, wenn ein Buch mit einem Warnhinweis beginnt und einer ausdrücklichen Entschuldigung, dass dieses Buch „voller schlechter Ideen“ steckt? Falls doch ein paar gute dabei wären … bittet der Autor auch noch um Entschuldigung.

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Roberts, A. R. R. R. – kleine Hobbnix, Der

Mit „Der kleine Hobbit“ begann 1937 das erfolgreichste Fantasy-Epos, nämlich „Der Herr der Ringe“. Erstmals ist dort von jenen Ereignissen die Rede, die schließlich zum großen Ringkrieg und dem Sturz des dunklen Herrschers Sauron führten. Doch Tolkien hat uns etliche wesentliche Infos vorenthalten, so etwa die, dass der kleine Hobbit eigentlich Nichtraucher war und der Zauberer fast stocktaub, von der seltsamen Redeweise der Zwerge ganz zu schweigen („Weissu wie isch mein, ey?“). Höchste Zeit also für die richtige Aufklärung, die alle Klarheiten beseitigt (oder so).

_Der Autor_

Der Name Adam Roberts ist angeblich das Pseudonym eines angeblich recht bekannten US-Schriftstellers. Ich tippe mal auf Thomas M. Disch, aber auch Philip José Farmer käme in Frage. Aber nix Genaues weiß man nicht. Und wenn man sich gewisse Feinheiten über die englischen Sitten ansieht, kommt auch ein Brite für den Job in Frage.

_Handlung_

Im idyllischen Aualand leben bekanntlich die freundlichen Hobbnixe. Das Einzige, was sie stört, sind ihre arthritischen Füße, denn sie stapfen tagein tagaus barfüßig durch die Botanik, also auch, wo’s feucht ist. Auch unser „Held“ mit dem klangvollen Namen Bingo Beutlgrabscher stöhnt in seiner heimeligen Höhle über die vermaledeiten Füße, an denen die Gichtknoten schwellen.

Gerade will er sich zum Ausruhen zurücklehnen, als es an der Tür klopft. Es ist der Zauberer Ganzalt nebst einer stattlichen Anzahl Zwerge. Sie sind zwar nicht eingeladen, stapfen aber trotzdem in Bingos Wohnhöhle. Es klopft immer noch an der Tür – Ganzalt kann den eingesetzten Klopfzauber nicht abstellen. Um seinem Sympathiequotienten einen weiteren Dämpfer zu verpassen, fängt er auch noch an, Bingos Höhle mit seiner Tabakspfeife zu verpesten, ungeachtet des gottserbärmlichen Raucherhustens, der ihn schüttelt.

Die Kommunikation mit den Zwergen gestaltet sich ähnlich schwierig wie mit dem fast stocktauben Zauberer: Sie reden nur hessisches Kanakisch [s.u.], weissu wie isch mein, ey Mann, oder? Bingo checkt natürlich null und will alle Uneingeladenen rauswerfen, doch da erklingt das Zauberwort: GOLD! Für solche Wörter sind Beutlgrabscher – und sicher nicht nur diese – immer zu haben. GOLD also bieten sie ihm an, wenn, ja wenn er mit ihnen zum Strebor, dem Einzigen Berg, zieht, um den GOLD-Schatz des Drachen Schmauch zu klauen. Oder so, weissu…

Schon überredet! Bingo hat zwar einen winzigen Verdacht, dass da vielleicht noch was anderes sei, was die Zwerge vorhaben, aber wo GOLD zu holen ist, darf Bingo – nomen est omen! – nicht fehlen.

Natürlich fehlen die üblichen Stationen der Reise zum fernen Strebor nicht: Die Trolle spreschen fürnehmstes Franssösisch, wenn sie sich über das geeignete Rezept für die Zubereitung der Zwerge streiten. Die Elfen aus den Nobelbergen sind allesamt schwul und außerordentlich elegant. Fürst Halbelf – nicht zu verwechseln mit Fürst Halbzwölf und schon gar nicht mit Elfuhr – wird später mit seinem Elfenheer auftauchen.

Unter dem Nobelgebirge kommt es zu jener berühmten und äußerst schicksalschweren Begegnung, in deren Verlauf Bingo und das Wesen namens Schmollum versuchen, ein paar Rätsel zu lösen (oder auch nicht, was Bingo betrifft), denn schließlich will Schmollum sein „Ding™ der Macht“ zurückhaben. Mit diesem Ding™ ist nicht zu spaßen, wurde es doch vor Urzeiten vom bösen Saubua geschmiedet, dessen perverse Denkweise darin Eingang fand, und die geht so: Um sich einen Wunsch damit zu erfüllen, spricht man in die Öffnung des Dings™, aber der Wunsch muss umgekehrt proportional zu dem Gewünschten formuliert sein, checkst du? Wenn es also Nacht werden soll, musst du sagen: Die Sonne scheint. Alles roger?

Eine wahrhaft erstaunliche Episode bildet der Besuch bei Björn dem Gestaltwandler, der nachts zum Tier wird. Das ist allerdings nicht wörtlich, sondern metaphorisch zu verstehen, weissu wie isch mein? Ansonsten würde er sich hervorragend als Verkaufsassistent bei einem bekannten schwedischen Möbelhaus eignen. Auch die Spinnen sind recht merkwürdig drauf: Bekanntlich schnappen sie sich die Zwerge & Co., doch wenn man ein wenig an ihre sozialistischen Ideale appelliert, kommt man auch auf einen grünen Zweig, checkst du?

Nach den allerhärtesten Bewährungsproben, wie etwa dem Wettsaufen mit den Oberbayern in der Bierstube „August & Ina“ (= Augustiner), müssen die seltsamen Gefährten noch die Begegnung mit einer rappenden Krähe und dem pfeilbewehrten Bürgermeister der Seestadt Essmabrot bestehen, dann kann endlich die Konfrontation mit Schmauch erfolgen. Und das ist wohl bestimmt ein ganz fürchterlicher Drache – wenn man den Zwergen glauben darf (aber wer tut das schon?). Merkwürdig, dass der Zauberer Ganzalt ausgerechnet jetzt in einen Tiefschlaf gefallen ist…

_Mein Eindruck_

„Der kleine Hobbnix“ ist eine sehr gelungene Parodie auf Tolkiens Kinderbuch (das hoffentlich niemals verfilmt wird), wie ich finde. Die Story hat sprachlichen Witz, einige Spannung, viele Überraschungen und ein ordentliches Tempo, sobald sich die Gefährten mal auf die Socken gemacht haben. Was an Sprachwitz vorhanden ist, habe ich ja schon angedeutet. Doch im Gegensatz zu so vielen Parodien erschöpft sich „Hobbnix“ nicht im Konterkarieren des Originals, sondern entwickelt selbst einige Kreativität, was die Ursache und den Ausgang des Abenteuers anbelangt – beides darf hier natürlich nicht verraten werden. Aber auch absolute Tolkien-Anhänger werden daher noch etwas Gewinn von der Lektüre haben.

Abgesehen von den witzigen Einfällen der Geschichte ist das Buch aber noch mit vielen weiteren Zutaten gespickt. Die wichtigste besteht sicherlich in den ebenso unüber- wie unvorher-sehbaren FUSSNOTEN. So eine Fußnote kann recht dezent sein, aber auch ziemlich aufdringlich wirken. Hier wendet sich der Autor direkt an den Leser, um ihm etwas zu erklären, oder an Sponsoren, um ihnen eine passende Werbefläche im Text anzubieten (vulgo als „Product Placement“ bekannt).

Wie sehr das vorliegende Werk ein Produkt der Medienindustrie ist, machen nicht nur die Fußnoten, sondern auch die zahlreichen ANHÄNGE deutlich. Was wäre ein solches Kultbuch wie „Der kleine Hobbnix“ nämlich ohne eine oder zwei Fortsetzungen? Ganz recht: ein kleines Garnix! Daher hat, wenn wir Roberts glauben dürfen (und warum auch nicht?), sein Verlag NonWin Books folgende Produkte auf den Markt geworfen:

Der Herr der Sinne Band I: Die Gelehrten
Der Herr der Sinne Band II: Das doppelte Türmchen
Der Herr der Sinne Band III: Die Rückkehr der Fortsetzung des Königlichen Dings™: Der Sohn des Dings™ reitet wieder

Das große Hobbnix-Lexikon: Ein alphabetischer Wegweiser durch ganz Obermittelerde
PlayGameBoxCube 2 präsentiert: Der kleine Hobbnix: Der Zorn von More&More. Mit den Originalstimmen von Sir Ian McEllen und Lady Ellen McIan
Der kleine Knollnix: Die Parodie auf den Kultklassiker „Der kleine Hobbnix“

Außerdem kann jeder, der verrückt nach Hobbnixen ist, Mitglied im Hobbnix-Fanclub werden – für schlappe 149,95 Euro im Jahr, plus Mehrwertsteuer und Traumaversicherung! Na, wenn das kein voll korrektes Angebot ist, ey Mann!

Nun soll’s aber genug der Beispiele sein. Was uns der Parodist damit sagen will, ist wohl recht deutlich geworden: Durch Übertreibung der Marketingparolen führt er den ganzen Medienrummel um das Original, also Tolkien und die Verfilmung des „Herrn der Ringe“, einer Kritik zu. Es würde sich lohnen, mal – etwa im Rahmen eines Seminars – genauer zu untersuchen, welche Aspekte Roberts genau auf die Schippe nimmt. Das Original findet er bestimmt klasse, aber die Auswüchse, die dessen nachgerade kultische Verehrung bzw. industrielle Vermarktung angenommen haben, sind ihm mehr als suspekt.

Daher erfüllt die Parodie mehrere Zwecke. Und wie ich finde, erreicht sie ihre Ziele auch. Und wenn mich nun jemand fragen würde, welche Episode mir am besten gefallen hat, so würde ich ohne zu zögern sagen: die oberbayerischen Säufer, vor denen Bingo & Co. eine „Gaudi“ aufführen müssen. Allerdings sind zum Verständnis fortgeschrittene Kenntnisse des Urbayerischen erforderlich – oder ein Wörterbuch.

Damit möchte ich darauf hindeuten, dass Ute Brammertz eine hervorragende Übersetzung gelungen ist, die richtig Laune macht. Sie stellt nicht nur eine Eins-zu-eins-Übertragung des Originals dar, sondern erfindet eigene zeit- und ortsgemäße Entsprechungen. Dazu gehören nicht nur die Oberbayern oder der schwedische Björn, sondern auch Kulturphänomene wie die Szenesprache (Kanakisch) der Zwerge und der rappenden Krähe „Raveman“. Da dürfte sich auch die jüngere Generation angesprochen fühlen. Voll konkret, Mann! (Wer mit Kanakisch nix anfangen kann, der findet im Programm des |Eichborn|-Verlags von Michael Freidank verfasste entsprechende Wörterbücher und Selbstlernkurse – Kanak it yourself mit „Dem besten Sprakkurs ubernhaupt“!)

_Die Grafiken_

Jetzt hätte ich doch fast die Landkarte und die Illustrationen unterschlagen! Nej, sowas aber auch.

Die Landkarte am Anfang des Buches hilft – mehr oder weniger – bei der Orientierung des planlosen Lesers in den wilden Gefilden von Obermittelerde. Dazu gehören solche Landmarken wie das Nobelgebirge, das Eckmeer und die Bucht von Glucks, das Skigebiet Shifoan, das Verwunschene Bächle und die bekannten Doppeldörfer Katzen und Sprung. Besonderes Augenmerk möge der geneigte Leser der geografischen Kombination Australiensee, Neuseelandsee und Pullisee widmen. Auch der Mount Dumm und der Mount Dümma vermitteln den Eindruck, als ob sich dahinter ein tieferer Sinn verberge (aber was?). Jedenfalls gibt’s hier noch viel zu entdecken, sogar einen Fleck namens „Druckfehler“, wer hätte das gedacht? Ich schon!

Jedem Kapitel ist eine Zeichnung vorangestellt. Sie dient dazu, den Leser auf das Schlimmste gefasst zu machen, so etwa auf „Die Gobblinattacke“ auf (ab?) Seite 277. Jeder, der sich diese Zeichnungen ansieht, ist selber schuld, wenn er weiterliest! Er wurde ja gewarnt.

_Unterm Strich_

Wer einmal das Buch aufgeschlagen und das erste Kapitel ob der Attacken auf sein Zwerchfell überstanden hat, wird das Buch kaum aus der Hand legen können (höchstens auf dem stillen Örtchen, obwohl…). Nicht nur der Sprachwitz weiß zu verblüffen und zu unterhalten, sondern auch die Einfälle, die der aus dem Original bekannten Handlung einen neuen Verlauf geben – und natürlich eine ganz andere Bedeutung. Dann wird’s auch richtig spannend.

Natürlich erfordert das Nachvollziehen der umgekehrt proportionalen Sprachlogik, die das Ding™ der Macht von seinem Träger ebenso wie vom Leser verlangt, eine gewisse Verknotung der Hirnspiralen, aber das macht nix. Denn da ist es bereits zu spät. Die Verknotung hat insgeheim bereits mit der Interpretation des Kanakischen begonnen, dessen sich die Zwerge, besonders ihr Anführer Mori, befleißigen. Ja, servus, Verstand, und bei den Metaphern hört ja sowieso alles auf.

Eine gewisse Ähnlichkeit zu Terry Pratchetts Scheibenweltromanen mag ja vorhanden sein – auf dem Titelbild ist eine verdächtig wirkende Truhe mitsamt Insassen zu sehen -, doch schon nach wenigen Seiten ist klar, dass die Parodie vor allem den Medienrummel um Tolkien und die Herr-der-Ringe-Verfilmung aufs Korn nimmt, und das mit Erfolg, wie ich meine.

Das Buch bildet auch für besonders fanatische Tolkien-Fanatiker (oje, ein weißer Schimmel!) noch eine Bereicherung. Kein Fehlkauf, checkst du, sondern voll korrekt. Küss die Hand.

Marie Darrieussecq – Schweinerei


Eine Frau wird zur Sau gemacht

Eine junge Frau erzählt die unerhörte Geschichte von ihrer langsamen Verwandlung in eine Sau. Als Verkäuferin in einer Parfümerie, die tatsächlich aber ein Luxusbordell ist, muß sie die abwegigsten Wünsche ihrer Kunden befriedigen. Die Verderbtheit ihrer Umgebung berührt aber nicht ihre Naivität, nur ihr Körper reagiert auf die Verrohung und verändert sich. Aus der strahlenden, fülligen, erotischen Frau wird allmählich eine Schweinsgestalt. Sie bekommt Appetit auf Äpfel und Gras, eine dritte Brust fängt an sich zu entwickeln, ihre Haut wird dick und borstig. Zunächst finden die Kunden Geschmack an dieser Metamorphose, doch die fortschreitende Verwandlung läßt sich bald nicht mehr verbergen… (Verlagsinfo)
Marie Darrieussecq – Schweinerei weiterlesen

Oliver Uschmann – Überleben auf Festivals. Expeditionen ins Rockreich


Survival Guide mit Soziologen-Humor

Wer in der Wildnis überleben will, muss die Wildnis verstehen. Das gilt selbst dann, wenn die Wildnis „nur“ ein Reservat ist, ein kontrollierter Ausnahmezustand. Musik-Festivals sind so etwas – eine Parallelwelt, in der eigene Gesetze herrschen.

„Überleben auf Festivals“ ist ein Nachschlagewerk wie ein Moshpit – lustig, böse und kathartisch. (Verlagsinfo) Wer jetzt nicht auf Anhieb weiß, was ein „Moshpit“ ist, muss nicht verzweifeln. Für solche Fachbegriffe soll man ja das Buch lesen.

Der Autor

Oliver Uschmann – Überleben auf Festivals. Expeditionen ins Rockreich weiterlesen

Katja Berlin, Peter Grünlich – Was wir tun, wenn der Chef reinkommt: Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken. Das Beste vom Graphitti-Blog

Klappentext:

Kaufargumente für dieses Buch:
– Noch lustiger als seine Vorgänger
– Ein paar Prozent des Kaufpreises gehen an notleidende Künstler (uns)
– Besser, als nur einen Kinogutschein zu verschenken
– Es ist delfinfreundlich und für Allergiker geeignet
– Garantiert ohne Tipps für ein gesünderes Leben
– Ach bitte, bitte, bitte! (Verlagsinfo)

Mein Eindruck:

In „Was wir tun, wenn der Chef reinkommt“ erwarten uns wieder viele lustige Grafiken aus „Das Beste vom Graphitti-Blog“ von Katja Berlin und Peter Grünlich.

Katja Berlin, Peter Grünlich – Was wir tun, wenn der Chef reinkommt: Die Welt in überwiegend lustigen Grafiken. Das Beste vom Graphitti-Blog weiterlesen

Richard Mackenrodt – Die kleine Insel am Ende der Welt

Die Handlung:

Eine Sommerhochzeit auf einer bezaubernden sizilianischen Insel steht bevor. Lisa begibt sich auf die Reise dorthin, denn die Braut ist ihre allerbeste Freundin. Ja, das könnte schön werden. Richtig schön sogar, ein rauschendes Fest der Liebe unter mediterranem Himmel, beseelt von überschäumender sizilianischer Lebensart… Wenn es da nicht etwas gäbe, das Lisa schon seit einer ganzen Weile mit sich herum schleppt. Etwas, das in ihr gärt. Das sie quält. Eine höchst unschöne Wahrheit, die sie endlich loswerden will. Loswerden muss. Aber kann sie das denn wirklich tun? Darf sie das? Hat sie das Recht dazu? Lisa ringt mit sich wie nie zuvor in ihrem Leben. Und noch ahnt sie nicht, dass die Ereignisse sich bald überschlagen werden. Dass Dinge geschehen werden, die ihre schlimmsten Fantasien noch bei weitem übertrumpfen. ( Verlagsinfo)

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Burgwächter, Till – Väter, Völker und Vandalen

Till Burgwächter kennen viele durch sein Buch „Die Wahrheit über Wacken“. Nun macht sich der selbsternannte Hobbyhistoriker daran, diverse Menschengruppen auf witzige Weise zu beschreiben und dem Leser näher zu bringen. Recherchiert hat er dafür im Internet und bei Wikipedia. Der Untertitel „Ein Parforce-Ritt durch die Geschichte der beliebtesten Völkerstämme“ lässt schnell erkennen, dass man das alles bloß nicht ernst nehmen sollte und die ganze Sache ein kurzweiliges und amüsantes Lesevergnügen ist.

Von Ä wie Ägypter bis W wie Wikinger werden die einzelnen Volksgruppen kurz und humorvoll beschrieben, was immer mit einer kurzen, standardisierten Einleitung erfolgt. Ein geniales Beispiel gibt es bei den Eskimos:

Ursprung: Nachdem ein Blitzschlag einen Schneemann getroffen hatte, der einen Eimer als Hut aufhatte, ging alles ganz schnell
Verbreitung: Nördlich und eisig
Bekannt für / durch: Bauen gerne Eishotels für gelangweilte westliche Europäer
Bedroht von / Ausgerottet durch: Klimawandel, Eisbären

Auch die Beschreibung für die Germanen ist nicht schlecht:
Ursprung: Angeblich vor 700.000 Jahren
Verbreitung: Ungefähr in den (kurzlebigen) Grenzen von 1940
Bekannt für / durch: Weltkrieg, Waffen, Wirtschaftswunder
Bedroht von /Ausgerottet durch: DSDS, The Bachelor, RTL II, Daniela Katzenberger

Daran sieht man schon, dass das alles nicht ganz so ernst zu nehmen ist und der Autor auch gern mit den gängigen Klischees spielt oder auch aufräumt. So erfährt der Leser beispielsweise, dass die Kelten zwar hochentwickelt waren, aber in Sachen Aufzeichnungen ziemlich faul waren. So gibt es fast keine Schriftstücke und die Musik, die uns heute als keltische Musik verkauft wird, der größte Beschiss ist. Sie stammt aus dem 17. Jahrhundert und ist somit eine „moderne“ Erfindung.

Später werden sogenannte „Freak-Stämme“ näher beleuchtet. Und wir erfahren, dass der Begriff Freak ursprünglich Laune bedeutet. Also sind die „Freaks Of Nature“ nichts weiter als eine Laune der Natur. Wieder etwas gelernt! Und so gibt es allerlei Interessantes über die Atlanter, Heveller oder die Pygmäen zu erfahren.

Weiter geht es auf der Wissensreise mit der Rubrik „Errungenschaften der Menschheit von A bis Z“. Dabei werden diverse Erfindungen humorvoll vorgestellt und danach gefragt, warum manche Dinge den Menschen faszinieren, so zum Beispiel Drogen. So erfährt der Leser, dass sie bereits 3.000 Jahre vor Christus Mode waren. Die Frage, wohin tote Tiere eigentlich verschwinden und nicht den Waldesrand säumen, bleibt unbeantwortet. Genauso die Frage, warum das nicht auch mit den Menschen funktioniert.

Zu guter Letzt gibt es einen witzigen Test, um herauszubekommen: „Von wem stammen Sie eigentlich ab?“ Auch das darf man nicht wirklich ernst nehmen und dient mehr zur Erheiterung.

Damit endet der Ausflug in die Geschichte der beliebtesten Volksstämme. Alles in allem ist es eine kurzweilige Unterhaltung, die nicht nach einem tieferen Sinn verlangt und die Geschichtsschreibung sinnlos ergänzt. Für knapp acht Euro und im handlichen Format ist das Buch für unterwegs gut geeignet und man kann mit einem Kauf nichts falsch machen. Außer man ist humorlos oder ein besessener Geschichts-Freak.

|Broschiert: 94 Seiten
ISBN-13: 978-3934896680|

Verlag Andreas Reiffer

_Till Burgwächter bei |Buchwurm.info|:_
[„JGTHM – Juhr Gait Tu Hewi Mettäl“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=26
[„Schmerztöter“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=981
[„Zwischen Aasbüttel und Vaalermoor – Die Wahrheit über Wacken“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1589
[„Sorry, aber so isses! – Böse Texte für den Rest der Welt“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=2116
[„Die Wahrheit über Fußball“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=3054

Sven Böttcher – Götterdämmerung

Im Himmel ist Bombenstimmung: Die Götter der verschiedenen Epochen und Kulturen vegetieren dahin, da die wenigsten Menschen noch an sie glauben, und ertränken ihren Frust zumeist in Alkohol. Vor allem die griechischen Götter um Zeus und als Gegenpart die Asen, die nordischen Götter unter Odin verbreiten Stunk, können sich gegenseitig nicht ausstehen und haben doch das gleiche Ziel: Die Sterblichen an ihre Existenz zu erinnern. Zu diesem Zweck lässt Zeus eine Horde unkontrollierter Blitze in das Zeitgefüge rasen, die durch alle Zeitalter donnern und alles durcheinanderbringen. Sie versetzen Einzelpersonen in der Zeit, manchmal auch Gruppen oder ganze Armeen und bringen Chaos sowohl in das geordnete Leben als auch in die strukturgebende Geschichtsschreibung. Beispielsweise wird Goethe mit seinem „Werther“-Manuskript auf die Frankfurter Buchmesse verschlagen, wo er sich schließlich suizidiert. Demnach wurden weder der Werther noch spätere Werke wie Faust veröffentlicht und verschwinden aus den Bücherregalen nebst der zugehörigen Sekundärliteratur – und das, obwohl sich viele Menschen noch daran erinnern.

Odin fühlt sich unter Zugzwang und startet eine ähnliche Kampagne, nur verwendet er statt Blitzen die in seinen Augen eindeutig zuordenbaren Äpfel als Zeichen göttlichen Eingreifens.

Auf griechischer Seite Athene, auf Asenseite Baldur, arbeiten gegen die maßlose Zerstörung durch ihre Väter und planen die Einbeziehung einer Gruppe Sterblicher, die im Himmel per definitionem Macht über die Götter haben und sie zur Umkehr zwingen können. Ein Wettlauf zwischen regierungstreuen und opportunistischen Göttern beginnt, zu deren Spielball die Auserwählten werden …

In diese überarbeitete Neuausgabe des Romans von 1992, also der Version 2.0, aktualisiert Böttcher die wichtigen Ereignisse unserer Zeit und schafft es tatsächlich, einen druckfrischen Eindruck zu erwecken. Neben diesen satirischen Elementen, die einen nicht unwesentlichen Teil des Charmes der Geschichte ausmachen, nimmt er auch die homerischen Griechen und die nordischen Götter gewaltig auf die Schippe, betrachtet sie als Interpretation ihrer aus Sagen und alten Geschichten und Gedichten in strahlender Göttlichkeit extrahierbarer Charaktere sehr unverblümt als Alkoholiker und Inzestbetriebe und rückt ihren Mythos aus der Unantastbarkeit und jugendlicher Heldenverehrung. So bleiben im Schnitt egoistische, einfältige, brutale, alkoholabhängige Ehebrecher und Intriganten.

Für die irdische Satire lässt Böttcher die Blitze vorerst nur den gesellschaftlichen Ballast versetzen und in eindrucksvollen Worten seine Figuren die Missstände darlegen. Die Schmarotzer sind es, die er aus der Welt geräumt haben will, wie z. B. Ämter und Sachbearbeiter, die einen gravierenden Anteil am staatlichen Etat haben, ohne die aber alles einfacher, da ungenauer, regelbar wäre. Oder Makler, ohne die die einzelnen Parteien direkt miteinander Geschäfte machten und sich die Courtage sparten. Oder die Versicherungen, deren Verdienst am Kapital der Versicherungsnehmer unverhältnismäßige Höhen erklimmt; oder auf der anderen Seite die Krankenschwestern, die in seinen Augen die wichtigste Drecksarbeit machen und dafür weit unterbezahlt würde im Gegensatz zu z. B. Politikern, die aus nicht nachvollziehbaren Gründen für ihre Intrigen Unsummen aus den Staatskassen beziehen.

Durch die göttlichen Interventionen zeigt Böttcher auf, wie die Welt funktionieren könnte ohne diese zwischengeschalteten Schmarotzer, doch bleiben das im Laufe des Romans kurze monologische Exkursionen, die den fröhlichen und zwerchfellreizenden Fluss der Handlung nicht stören, sondern bereichern.

Apropos kurze Exkursionen: Nach homerischem Vorbild führt Böttcher in Randbemerkungen alle anwesenden Götter ein und charakterisiert sie kurz, auch wenn sie teilweise für den Geschichtsverlauf nur untergeordnete Rollen spielen. Das merkt er auch ironisch-selbstkritisch in den dem Inhaltsverzeichnis zugesetzten Unterüberschriften an, benutzt es aber bewusst in Anspielung an epochale Götterverbrämung wie Homers Ilias.

Was machen derweil die irdischen Protagonisten? Hier bedient sich Böttcher diverser Plattitüden, schafft es aber durchweg, die Handlung am Laufen zu halten. In der Gegenwart ist es ein ungleiches Pärchen, bestehend aus dem unordentlichen, verwirrten Salat-Bar-Ingenieur und Fachmann für unerklärliche Fälle Erasmus und seiner bisherigen Mitbewohnerin Diana, die unbegreiflicherweise in ihn verliebt ist. Das und seine Erwiderung finden sie im Laufe ihrer „Queste“ heraus, die sie nicht nur mit Lokis missratenem Kind, dem Fenriswolf, konfrontiert. Erasmus ist es auch, der eine Idee von den Zusammenhängen entwickelt und den Göttern als Einziger auf die Spur kommt.

Im Jahre 1939 erwischt es den raffiniertesten Privatdetektiv Cameron, der abgebrüht und clever an der Grenze der Illegalität arbeitet und sich so leicht auch von dem wüsten Durcheinander nicht aus der Bahn werfen lässt. Seine These: Die Nazis haben eine Zeitmaschine gebaut! Zu seinem Glück passt Athenes Verbündeter Apollon auf ihn auf, so dass er sein Treffen mit einem mysteriösen Wissenschaftler überlebt, seine Gegner mit Pfeilen aus dem Nichts im Kopf auf der Strecke bleiben – was wiederum die Zeusgetreuen auf den Plan ruft …

Zur Regentschaftszeit König Artus‘ ermittelt es den Magier Gwydiot, einen Schüler Merlins, und der ist etwas tollpatschig. Nichts hasst er stärker als Schlamm, und so stolpert er stets in die nächste Pfütze. Nichtsdestotrotz gelangt er mit Hilfe eines Orakelmanuskripts seines Lehrers unbewusst auf die richtige Spur. Im Gegensatz zu Erasmus hat er bisher keine Frau abgekriegt, sondern wundert sich nur, wieso stets die dümmsten Nüsse wie Ritter Gawain die schönsten und klügsten Frauen bekämen.

Technisch sind Erasmus und Gwydiot am charismatischsten entwickelt, Cameron ist mehr ein Mitläufer. Vielleicht auch, weil er allein unterwegs ist, während sich den beiden anderen noch Personen anschließen, durch die sie selbst an Profil gewinnen.

Für mich als Sageninteressierten hat der Roman einen besonderen Reiz durch die „alternative“ Darstellung der Götter, die ihre Charakteristika vortrefflich in Szene setzt – gerade vor dem modernen Kinotrash wie die „Titanen“. Trotzdem oder gerade dadurch wird ihr klassisches Bild humorvoll mit Leben erfüllt und bietet den Handlungsrahmen für die satirische Erzählung. Mit mehr als einem zwinkernden Auge nimmt Böttcher nebenbei die aktuellen Zivilisationszustände auf die Schippe, sein Hauptaugenmerk gilt der Cervantes’schen Verballhornung der klassischen Übersagen und der Augenöffnung, was gängige Formulierungen und Plakativsätze angeht.

Ein amüsantes und hoch unterhaltsames Spektakel.

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (2 Stimmen, Durchschnitt: 1,00 von 5)

Taschenbuch: 320 Seiten
ISBN-13: 978-3499258183
http://www.rowohlt.de


 

Rensmann, Nicole – Niemand

|“Niemand“ ist eine Erzählung voller Mehrdeutigkeiten, in der alles wörtlich genommen wird.

In den Hauptrollen: Nina, eine ABK, Fräulein Klimper, der Nikolaus, das Wurzelmännchen, ein Drecksack. Ach ja, und da wäre natürlich noch – Niemand.

Orks? Drachen? Vampire? Nein! Aber Arschkriecher, Stromschwimmer, der Heilige Geist natürlich, Trauerklöße und Schaumschläger und eine Vielzahl anderer Niemandsländer, deren Bezeichnungen jenseits der Grenzen aus Unwissenheit verwendet werden. In den Nebenrollen: Jesus und das Dumme Würstchen.

„Niemand“ ist skurril witzig, liebenswert und riecht nach Erdbeeren. Fantasy neu.|

(Verlagsinfo / Umschlagtext)

_Zur Story_

Niemand ist der unsichtbare Herrscher des Niemandslandes, das heißt, es wird behauptet, dass er das sei. Seinen Machtanspruch auf den Thron hat er allerdings nie geltend gemacht, dafür sind sein Vater Niemand Sonst und sein Onkel Überhaupt Niemand um so schärfer darauf. Niemand bummelt lieber durch die Lande, immer argwöhnisch verfolgt und beäugt von den willigen Schergen seines bösartigen Erzeugers. Wie an diesem Tag, als er ein seltsames Ding auf der Wiese nahe der Grenze zur verbotenen Welt entdeckt. Ein weinendes Ding. Ein Mädchen. Eine Nina. Die Fast-Fünfzehnjährige hat sich nach Zoff mit ihrer Schwester Suse zufällig ins Niemandsland verirrt. Ein Land in dem Laberköppe, Krumme Hunde, Doofe Kühe, Ärsche mit Ohren, der Nikolaus, Jesus, der Heilige Geist, das Himmlische Kind und allerhand weitere kuriose Wesen wandeln. Viele von ihnen haben darüber hinaus keinen eigenen Namen. So wie Niemand eben, der sofort hin und weg von dem hübschen Teenagermädel ist. Mit dem Auftauchen Ninas gerät nun das ganze Niemandsland plötzlich in Aufruhr und komplett aus den Fugen.

_Eindrücke_

Um eine Aussage des Teaser-Textes vom Umschlag gleich zu kommentieren: Natürlich riecht das Buch selbst nicht nach Erdbeeren (es würde aber – nebenher bemerkt – ein sehr trefflicher Marketing-Gag). Was nämlich oberflächlich betrachtet wie eine reine effektheischende Flapsigkeit klingt, um auf Leserfang zu gehen, entpuppt sich bei der Lektüre des Buches als inhaltlich absolut zutreffend – zudem als recht zentraler Punkt. Denn Gerüche spielen im Niemandsland eine große Rolle, wenn es darum geht, den Gemütszustand seiner Bewohner zu erfassen. Das überträgt sich schön plastisch auch auf den Leser, da dessen Fantasie über diesen sehr geschickten Kniff gleich auf mehreren Ebenen stimuliert wird. Das betrifft im Übrigen nicht nur die Verknüpfung mit Emotionen mit Gerüchen, zu denen jeder Mensch naturgegeben einen anderen Bezug hat, sondern auch auf die doppelbödigen Gruppierungen, Einzelcharaktere und Orte. Insgesamt wurde die verschrobene Fantasy-Welt sehr liebevoll und originell arrangiert.

Fantasie ist also gefragt bei diesem Märchen – und um nichts anderes handelt es sich bei „Niemand“. Das bestätigt auch das als Nachwort abgedruckte Vorwort der Autorin. Die schreibt übrigens für gewöhnlich ganz andere Bücher und hat mit „Niemand“ nun ihr eigenes Lieblingsmärchen kreiert und mutig aufgeschrieben. Märchen, so wissen wir, transportieren eine Message und unterliegen zudem stark der individuellen Interpretation. Und hier kommt der Leser nun ins Boot: Es liegt an ihm dem bunten Sammelsurium der (offenbar absichtlich) anonym gehaltenen Vertreter (etwa der Stromschwimmer, Mitläufer, krummen Hunde und all den anderen schrägen Figuren) ein Gesicht – und somit eine Identität – zu geben. Denn jeder von uns assoziiert mit diesen Begriffen etwas oder jemanden. Das geschieht ganz automatisch und ist stilistisch betrachtet ein weiterer geschickter Schachzug in Punkto Interaktion.

Selbstredend sind da aber ja auch noch die fertig ausgestalteten – aber nicht minder skurrilen – Hauptfiguren, an denen es weitaus weniger zu deuten gibt und welche die Rahmenhandlung diktieren. Diese folgt über so manchen Umweg eigentlich der reinen Prämisse, die schon John Lennon zum Besten gab: „All you need is love“. Drumherum ist eine abenteuerliche Geschichte gesponnen, bei der es neben der allseits präsenten Liebesgeschichte zwischen Niemand und Nina auch noch vielfältige Actionsequenzen gibt. Immer mit zwinkerndem Auge und einer guten Portion Ironie zusammen mit dem amüsanten Ansatz ganz vieles schlichtweg wörtlich zu nehmen – auch wenn sich so einige, anfänglich witzige, Einfälle gegen Ende doch ein wenig abnutzen. Auch kommt „Niemand“ nicht ohne die eine oder andere zähe Passage aus. Dass der pathosgeladene Finaltwist nun nicht wirklich überrascht, sei dem Genre angelastet: Dies ist ein Märchen und die brauchen – selbst wenn sie so ungewöhnlich sind – eben ein rührendes Happy End. Oder?

_Fazit_

Nicole Rensmann selbst schreibt in ihrem Nachwort über „Niemand“, dass es polarisiert – entweder man liebt es oder man verdammt es in Bausch und Bogen. Ganz so drastisch muss man es aber gar nicht sehen. Es ist zwar sicher nicht vollkommen massenkompatibel, steckt aber voll sprachgewandtem Wortwitz, einem bunten Kessel Fantasie, netter Ideen und subtiler Zwischentöne, dass auch notorische Nörgler diesem modernen Märchen mit seinen schrillen Figuren Respekt zollen müssen. Auch wenn die darin enthaltene rührige Lovestory gelegentlich etwas klebrig und langatmig anmutet. Oder liegt das am Geschlecht des Rezensenten? Möglich. Ob und welche Lehren man gegebenenfalls aus der Geschichte zieht, bleibt ohnehin jedem Leser selbst überlassen. Unterhaltsam ist das „Niemandsland“ allemal und ein zweiter Teil sogar fast schon beschlossene Sache. Man darf gespannt sein und sich mit ausreichend Humor wappnen.

|Taschenbuch, 274 Seiten
Redaktion/Lektorat: Thomas Michalski
Cover und Innenillustrationen: Timo Kümmel
ISBN 978-3-86402-013-1|
http://www.atlantis-verlag.de